Der Tag, der Mirjana Lucic-Baroni für alles entschädigte

Melbourne – Eines Tages will Mirjana Lucic-Baroni die ganze Geschichte erzählen, kündigte die Tennisspielerin aus Kroatien bei den Australian Open an.

Ihre Story taugt anders als viele verfrühte Memoiren echter und selbsternannter Promis locker für ein Buch, in dem die 34-Jährige gerade eines der schöneren Kapitel abschließt. Nach dem Einzug ins Halbfinale von Melbourne gegen Rekordsiegerin Serena Williams stellte sie unter Tränen fest: «Ich werde diesen Tag nie vergessen. Alles, was mir passiert ist, wird heute wieder gutgemacht.»

Auch nach dem Viertelfinal-Sieg gegen die Tschechin Karolina Pliskova mochte Lucic-Baroni nicht darauf eingehen, was alles passiert ist, seit das damalige Riesentalent 1999 in Wimbledon in ihrem ersten Grand-Slam-Halbfinale gegen Steffi Graf verlor. Vielleicht werde sie eines Tages das Buch schreiben, vielleicht nicht. Vielleicht werde sie mit Spekulationen aufräumen. Manchmal wolle sie aber auch alles für sich behalten, sagte Lucic-Baroni am Mittwoch. Und auch in ihrer Pressekonferenz bekam sie manchmal noch feuchte Augen.

Als sie 1998 als 15-Jährige mit der Schweizerin Martina Hingis die Doppel-Konkurrenz bei den Australian Open gewann, galt die in Dortmund geborene Mirjana Lucic als Top-Talent. Anderthalb Jahre später fehlte gegen Steffi Graf nicht viel zum Final-Einzug in Wimbledon. Doch dann kamen Geschichten hoch, in denen es um häusliche Gewalt ging. Im Mittelpunkt: ihr Vater und Trainer, der jegliche Vorwürfe bestritt.

Die vorhergesagte Tennis-Karriere gab es nicht, stattdessen ein neues Leben mit Mutter und Geschwistern weg vom Vater in Florida. Einige Jahre lang spielte sie praktisch gar nicht, in anderen nur auf kleinen Turnieren. 2010 heiratete Mirjana Lucic den Italiener Daniele Baroni, mit dem Betreiber von zwei Restaurants in Sarasota/Florida ist sie bis heute glücklich. In den Anhänger ihrer Goldkette ist ein «D» eingraviert.

Das Gefühl, im Tennis nicht erreicht zu haben, was möglich gewesen wäre, trieb Mirjana Lucic-Baroni an. 2014 schlug sie bei den US Open die jetzige French-Open-Siegerin Garbiñe Muguruza aus Spanien und dann die Rumänin Simona Halep, momentan Weltranglisten-Vierte. In Melbourne warf sie mit ihrem kraftvollen Tennis die an drei gesetzte Polin Agnieszka Radwanska aus dem Turnier. Mit der Darmstädterin Andrea Petkovic scheiterte sie im Doppel im Viertelfinale – vielleicht auch, weil sie müde war.

«Sie ist so positiv. Das zahlt sich irgendwann aus, und jetzt kommt alles zu ihr zurück», sagte Petkovic und will sich ein Beispiel an ihrer älteren Partnerin nehmen. «Sie macht sich nie runter für Sachen, die manchmal nicht passen.» Serena Williams, die 1998 in Sydney und Wimbledon die ersten beiden Vergleiche der damaligen Teenager gewann, sieht Lucic-Baroni ebenfalls als Vorbild. «Ich bin so stolz auf Mirjana, wir haben vor fast 20 Jahren gegeneinander gespielt. Sie ist so eine Inspiration für mich», meinte die 35-Jährige nach dem Viertelfinal-Sieg gegen die Britin Johanna Konta.

Als Mirjana Lucic-Baroni im Viertelfinale das an Oberschenkel und Wade bandagierte linke Bein Probleme machte, hängte sie sich vor dem letzten Aufschlagspiel eine Kette mit einem Kreuz um. Nach dem Matchball kniete sie nieder, die Stirn berührte fast den blauen Boden. «Alles, was ich sagen kann, ist, dass Gott gut ist», meinte die 79. der Weltrangliste danach. Mirjana Lucic-Baroni wird unter die Top 50 zurückkehren – und das muss nicht das Ende der späten Erfolgsgeschichte auf dem Tennisplatz sein.


(dpa)

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