Rouen – Als der Anruf von Bundestrainer Dagur Sigurdsson kam, hatte Holger Glandorf seine Tasche für den Frankreich-Trip längst gepackt.
Am Morgen machte sich der WM-Joker des Europameisters auf den Weg ins Teamquartier der deutschen Handballer in Rouen, um sich zehn Jahre nach dem goldenen «Wintermärchen» erneut einen WM-Medaillentraum zu erfüllen.
«Ich freue mich, noch einmal für Deutschland bei einem solchen großartigen Turnier auflaufen zu können und hoffe, dass wir mit dieser Mannschaft zusammen sehr weit kommen. Das Potenzial sehe ich auf jeden Fall», sagte Glandorf vor seiner Abreise.
Schon nach seinem überraschenden Comeback vor zehn Tagen im letzten WM-Testspiel der Bad Boys gegen Österreich war absehbar, dass der Rückraumspieler vom Bundesliga-Spitzenreiter SG Flensburg-Handewitt das Ass im Ärmel von Sigurdsson für die Titelkämpfe in Frankreich sein würde. «Wir wissen, was wir bei ihm an Qualität bekommen», sagte Sigurdsson.
Dabei hatte Glandorf nach seinem Rücktritt im Herbst 2014 mehr als zwei Jahre nicht mehr für Deutschland gespielt. Verlernt hat der Familienvater in dieser Zeit nichts. Kein Wunder – spielt er doch in Flensburg immer noch auf höchstem Niveau. «Holger hat riesige Qualitäten, das weiß jeder», sagte Rückraumspieler Kai Häfner. Der bisher einzige Linkshänder im Rückraum soll durch Glandorf entlastet werden.
Dessen Klasse ist unstrittig. Zuletzt klopfte sogar der FC Barcelona an und wollte den 33-Jährigen verpflichten. Doch Glandorf entschied sich für sein gewohntes Umfeld – und verlängerte seinen Vertrag in Flensburg bis 2019. «Gemeinsam mit meiner Familie sind wir sehr schnell zu dem Entschluss gekommen, dass die SG und die Region derzeit unser Zuhause sind», begründete der 1,95 Meter große Schlacks seine Herzensentscheidung.
Ehefrau Christin und die zwei Söhne waren auch in die Entscheidung eingebunden, seine fünfte Weltmeisterschaft in Angriff zu nehmen. «So etwas geht nur in Absprache mit meiner Familie. Meine Kinder freuen sich natürlich, mich noch einmal im Deutschland-Trikot zu sehen. Meine Frau hat auch gesagt, es ist okay», berichtete Glandorf im ARD-Hörfunk.
Der Rückraumschütze kann und wird dem jungen DHB-Team mit seiner Erfahrung und seinem Können weiterhelfen. In seiner langen Erfolgskarriere hat er viel erlebt und auch schwierige Situationen wie bei der EM 2008 gemeistert. Trotz großer Trauer um seinen kurz zuvor an einem Herzinfarkt verstorbenen Vater war Glandorf damals mit 36 Treffern bester deutscher Turnierschütze.
Und er weiß, wie man Titel gewinnt. 2007 gehörte der Routinier bei der Heim-WM zum Gold-Team von Heiner Brand, mit Flensburg wurde er 2014 Champions-League-Sieger. Zuvor hatte er mit der SG schon den Europacup der Pokalsieger (2012) sowie mit der HSG Nordhorn (2008) und dem TBV Lemgo (2010) jeweils den EHF-Cup gewonnen.
In den bisher 168 Länderspielen, die er seit seinem Debüt gegen Ungarn am 4. Januar 2003 bestritt, erzielte Glandorf 579 Tore für Deutschland. Sollte er bei der WM die 600er Marke knacken, würde dies zugleich die Titelchancen der Bad Boys erhöhen.
(dpa)