Berlin – Als Pfarrer ist es Peter Müller gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen. Einmal im Jahr ist die Aufmerksamkeit allerdings so groß, dass auch der 79-Jährige aufgeregt ist.
Wenn am Tag vor dem Heiligen Abend im Stadion des 1. FC Union Berlin mehr als 28 000 Menschen zum alljährlichen Adventssingen zusammenkommen, liest der Rentner die Weihnachtsgeschichte. «Das ist etwas ganz Besonderes», sagt Müller.
Fußball und Glaube – das passt auf den ersten Blick nicht sonderlich gut zusammen. Das sahen anfangs auch einige Unioner so. «Es gab schon einige kritische Stimmen, die gesagt haben: ,Was brauchen wir einen Pfarrer, wir haben ja unsere Kathedrale und unseren heiligen Rasen‘», erinnert sich Müller. Inzwischen herrsche aber weitgehend Konsens, dass christliche Gebräuche beim Adventssingen dazugehören.
2003 hatten sich 89 Alt-Unioner erstmals zum gemeinsamen Singen in der Alten Försterei getroffen. «Die haben dann bald gemerkt, dass irgendwas fehlt und sind auf mich zugekommen», berichtet Müller. Die evangelische St. Laurentius Gemeinde, die er als Pfarrer betreute, liegt nicht weit vom Stadion des Fußball-Zweitligisten entfernt.
Ein Jahr später feierte er seine Premiere als geistlicher Begleiter des Adventssingens. «Es war für mich etwas völlig Neues – unter offenem Himmel, im Stadion, im Dunkeln, möglicherweise dem Winterwetter ausgesetzt.» Obwohl sich Müller als Sportmuffel bezeichnet, hatte er wenig Berührungsängste. «Der Zusammenhalt bei Union macht den Verein besonders achtenswert.» Seit sechs Jahren ist er jetzt auch Mitglied des Clubs. Wann immer es seine Zeit zulässt, besucht er die Heimspiele im Block C1.
Die ersten Erfahrungen waren so positiv, dass Müller zu einer festen Institution dieser Veranstaltung wurde. «Solange sie mich wollen, mache ich das gerne.» Neben der Weihnachtsgeschichte spricht Müller eine Art Fürbitte. «Ich frage vorher immer einige Fans, welche Hoffnungen und Wünsche sie für das nächste Jahr haben, und fasse das dann zusammen», erzählt er.
Der 1. FC Union spielt dabei genauso eine Rolle wie aktuelle gesellschaftliche Probleme. «Jeder Mensch braucht ein paar christliche Riten», sagt Müller, «vor allem in einer etwas zerfallenden Gesellschaft.» Dass mittlerweile Menschen aus ganz Deutschland in die Alte Försterei zum gemeinsamen Singen strömen, überrascht Müller immer wieder aufs Neue. «Wie sich das hier entwickelt hat, kann ich nicht anders beschreiben als mit den Worten: Das ist ein Wunder.»
(dpa)