London (dpa) – Da stand er, der kleine Mann. Allein vor der Fankurve der deutschen Anhänger bejubelte Berti Vogts den EM-Titel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und ließ sich für den größten Erfolg seiner Trainerkarriere feiern.
Zwei Jahre nach der frustrierenden Weltmeisterschaft in den USA führte Vogts das DFB-Team 1996 beim Turnier im Fußball-Mutterland England auf Europas Thron. 20 Jahre später wollen die deutschen Kicker den Erfolg in Frankreich wiederholen und sich den vierten EM-Stern sichern.
Es war sicherlich einer der bewegendsten Momente in der Laufbahn von Vogts. Zwei Jahre zuvor hätten Experten, Fans und auch Teile der Spieler den «Terrier» aus Korschenbroich noch am liebsten in die Wüste geschickt. Die Weltmeisterschaft in den USA war nicht nur sportlich ein Desaster gewesen, auch im Binnenverhältnis zwischen Trainer und Mannschaft schien es nicht zu stimmen.
Doch 1996 war alles anders, gerade der Teamspirit und der große Zusammenhalt waren die großen Stärken des deutschen Teams. Ein Verdienst von Vogts, der zuvor Lothar Matthäus aussortiert hatte.
Lob gab es nach dem EM-Coup von höchster Stelle. «Mein allergrößter Respekt gilt Berti Vogts. Wenn man sieht und hört und noch einmal nachvollzieht, wie viel dummes Zeug über diesen Mann gesagt und geschrieben wurde in den letzten Monaten. Er hat durchgehalten. Und er ist der Sieger, der Winner», sagte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, der den 2:1-Sieg nach Verlängerung im Finale gegen Tschechien zusammen mit der Queen im Wembley-Stadion verfolgte.
«Helmut senk‘ die Steuern», sangen die deutschen EM-Helden nach ihrem Triumph, als Kohl zusammen mit DFB-Präsident Egidius Braun in die Kabine kam. Auch die Spieler um Kapitän Jürgen Klinsmann freuten sich vor allem für ihren lange Zeit so umstrittenen Trainer. «Es ist eine unheimliche Befriedigung, dass die Arbeit von Berti Vogts bestätigt wurde», sagte Klinsmann. «Was er aufgebaut hat, ist phänomenal.»
Von Anfang an präsentierte sich die deutsche Mannschaft in England als verschworener Haufen, der sich weder vom Verletzungspech noch von Gastgeber England im Halbfinale aufhalten ließ. «Der Star war die Mannschaft», sagte Vogts rückblickend auf die EM immer wieder.
Doch im Endspiel traf dieser Slogan nicht ganz zu. Denn der 30. Juni 1996 wurde zur großen Show des heutigen Nationalmannschaftsmanagers Oliver Bierhoff. Der Angreifer hatte eine für ihn enttäuschende EM erlebt und meist auf der Bank gesessen. Auch im Finale blieb er zunächst draußen. Doch beim Stand von 0:1 brachte Vogts den Italien-Legionär und vollzog damit den entscheidenden Wechsel.
Nur vier Minuten später köpfte Bierhoff das 1:1, in der Verlängerung sorgte er mit dem ersten Golden Goal der EM-Historie für den Sieg. Der Matchwinner brauchte kurz, um die Tragweite seines Treffers zu realisieren. «Dann brannten bei mir alle Sicherungen durch.»
Nachdem sich Bierhoff das Trikot vom Leib gerissen hatte und unter einer Spielertraube begraben worden war, stand Vogts wenig später vor den jubelnden deutschen Anhängern und verneigte sich. «Ich habe mich bei den Fans bedankt, weil sie mir in einer für mich nicht leichten Zeit nach der WM mit vielen Briefen Mut zugesprochen haben», sagte Vogts. Das Wort «Genugtuung» kam nicht über seine Lippen. Aber wer ihn sah, der wusste, dass eine gehörige Portion davon vorhanden war.
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(dpa)