Warschau (dpa) – Das Trikot vom Leib gerissen, mit nacktem Oberkörper die Muskeln wie ein Bodybuilder zur Schau gestellt: Das ist die Pose, mit der Mario Balotelli 2012 zum Deutschlandschreck wurde, die sich für immer ins Gedächtnis vieler deutscher Nationalspieler und Fans eingebrannt haben dürfte.
Mit zwei Treffern im EM-Halbfinale 2012 schoss Italiens Sturm-Exzentriker die deutsche Fußball-Nationalelf quasi im Alleingang aus dem Turnier. Die 1:2-Pleite gegen die Azzurri versetzte ganz Fußball-Deutschland in einen Schock-Zustand.
Doch nur wenige Tage später erlebten auch die Azzurri eine herbe Enttäuschung: Im EM-Finale von Kiew setzte es ein 0:4 gegen Spanien. Gegen die technisch starken und herausragend gut aufgelegten Iberer war die Mannschaft von Nationalcoach Cesare Prandelli chancenlos. Spanien demütigte die italienische Elf mit brillanten Kombinationen und Tempofußball und sicherte sich den dritten großen Titel in Serie. «Das ist eine außergewöhnliche Nacht. Wir haben etwas Historisches geschafft», schwärmte Spaniens Coach Vicente del Bosque damals.
Zuvor gegen Deutschland hatte Italien hingegen einen perfekten Tag erwischt, allen voran der mittlerweile aus der Nationalelf aussortierte Balotelli. Der Sohn ghanaischer Einwanderer zeigte an jenem 28. Juni im Nationalstadion von Warschau sein wohl bestes Spiel im Trikot der Azzurri, arbeitete und kämpfte und war zweimal eiskalt zur Stelle: In der 20. Minute per Kopf und eine gute Viertelstunde später mit einem wuchtigen Rechtsschuss. Seine anschließende Jubelpose zierte am nächsten Tag fast alle Titelseiten der Zeitungen in Italien und Deutschland und ging in die Fußball-Geschichte ein.
In Deutschland herrschte am Tag nach dem K.o. gegen den damaligen Angstgegner Italien Tristesse – und vor allem Bundestrainer Joachim Löw musste sich viel Kritik anhören. Ausgerechnet im so wichtigen Halbfinal-Klassiker gegen den viermaligen Weltmeister war der Matchplan des Bundestrainers nicht aufgegangen. Löw wählte die falsche Taktik und lag mit seinem überraschenden Systemwechsel daneben. Das deutsche Team präsentierte sich mutlos, war die schlechtere Mannschaft und musste enttäuscht die Heimreise antreten.
«Im Nachhinein hätten wir dieses oder jenes machen können», gab Löw später zu. «Es gibt aber keinen Grund, etwas anzuzweifeln. Wir hatten die jüngste Mannschaft, wir haben trotz allem ein starkes Turnier gespielt.» Obwohl sich der Bundestrainer gegen Italien verzockte und zumindest in der Öffentlichkeit für die bittere Pleite verantwortlich gemacht wurde, hielt der DFB an seinem Coach fest – und wurde zwei Jahre später bei der WM in Brasilien mit dem Titel belohnt.
Im Lager der Italiener war der Jubel um Matchwinner Balotelli umso größer. «Italienische Giganten. Ein Wahnsinns-Balotelli. Wir haben Deutschland eine Fußball-Lektion erteilt», schwärmte der «Corriere dello Sport» am Tag nach dem Halbfinale. Und auch der gefeierte Prandelli, der trotz aller Kritik immer an Skandalstürmer Balotelli festgehalten hatte, meinte: «Das war das schönste Spiel meiner Trainerkarriere. Es war fast perfekt.» Sogar Italiens Staatsoberhaupt Giorgio Napolitano rief die Azzurri an und gratulierte: «Es gibt keine Worte, um zu beschreiben, wie großartig ihr seid.»
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(dpa)